< Zurück


Sammlungsgeschichten: Die pharmakognostische Sammlung



12. Februar 2024



Das Institut für Medizingeschichte der Universität Bern betreut nicht ausschliesslich die Objekte der Inselspital-Sammlung. Neben einer Mikroskop- und einer Brillensammlung kümmert sie sich auch um eine pharmakognostische Sammlung mit beinahe 2500 inventarisierten Rohstoffdrogen.


Pharmakogno – was?

Der Begriff ‘Pharmakognosie’ ist vielen – die Fachleute ausgenommen – kaum geläufig. Bei der Pharmakognosie handelt es sich um die Lehre von den pharmazeutischen Drogen. An zahlreichen Orten entstanden im 19. Jahrhundert pharmakognostische Sammlungen. Der Aufbau dieser Sammlungen steht einerseits in einer weit zurückreichenden Tradition des wissenschaftlichen Sammelns und ist andererseits auch eng verknüpft mit der Verwissenschaftlichung und Professionalisierung des Apothekerwesens.

Als nach 1800 angehende Apotheker an Universitäten zu studieren begannen, entstanden die ersten Sammlungen, die für die Forschung, vor allem aber auch zu Lehrzwecken dienten. Auch die Geschichte der Berner Sammlung ist mit der Entwicklung  der akademischen Ausbildung verbunden. Bereits das 1795 gegründete medizinische Institut bot nicht nur Unterricht für Ärzte, sondern auch für Apotheker an. Die angehenden Apotheker hörten Vorlesungen über Botanik, Pharmazie und Chemie – nach der Schliessung des Instituts in der sogenannten Akademie und ab 1834 schliesslich an der Universität – und konnten ein kantonales Patent erwerben. Entscheidend für die allmähliche Etablierung einer systematischen pharmazeutischen Ausbildung war jedoch die Gründung der Berner Staatsapotheke 1834. In den folgenden zwei Jahrzehnten förderte der Staat eine eigens auf die Bedürfnisse der Apotheker zugeschnittene universitäre Ausbildung. Zentrale Figur dieser Entwicklung: Der 1860 zum Leiter der Staatsapotheke und zum Dozent der Pharmazie ernannte Friedrich August Flückiger. Flückiger war ein international vernetzter, angesehener Forscher, der mehrere Standardwerke des Faches verfasste und unter dessen Leitung sich Bern zu einem wichtigen Ausbildungsort für Pharmazie entwickelte.

In Flückigers Berner Zeit fielen auch die Anfänge der pharmakognostischen Sammlung. Zunächst nutzte er seine eigene Sammlung, um Demonstrationsmodelle für seine Studenten zur Verfügung zu haben. Er setzte sich für Erwerb, Ausbau und Erhalt einer Sammlung ein, um so zu gewährleisten, dass Apotheker (aber auch Ärzte) gründliche Kenntnisse von Arzneistoffen vorweisen konnten. Schliesslich trat er seine eigene Sammlung unentgeltlich an den Berner Staat ab und setzte zudem den Ankauf der sogenannten «China-Sammlung» eines britischen Botanikers durch.

Die pharmakognostische Sammlung entwickelte sich schnell zu einem zentralen Pfeiler der pharmazeutischen Ausbildung. Von Anfang an ein Problem: die Unterbringung der Sammlung. Sie befand sich zunächst in der Anatomie und ab 1867 in der Staatsapotheke. Nach Flückigers Abgang nach Strassburg, wo er eine ordentliche Professur für Pharmazie erhielt, setzte sich auch sein Nachfolger, Paul Perrenoud, nachdrücklich beim Kanton für den Ausbau, die Pflege und vor allem für adäquate Platzverhältnisse der Sammlung ein.


Das «Drogenmuseum»

1890 erfolgte die Trennung von Staatsapotheke und dem Pharmazeutischen Institut. Die Leitung des Instituts und damit der Lehranstalt für Pharmazeuten übernahm Alexander Tschirch, der mit seiner Forschung und seinen Publikationen das Gebiet der Pharmakognosie massgeblich mitprägte. Tschirch hatte nach einer Apothekerlehre Pharmazie studiert und 1881 mit seiner Promotion abgeschlossen. Bevor er den Berner Lehrstuhl übernahm, bereiste er zu Studienzwecken Indien, das heutige Sri Lanka und Java. Unter ihm entwickelte sich Bern zu einer Hochburg der Pharmazie. Auch das Institut erhielt neue Räumlichkeiten in der «alten Kavalleriekaserne» und damit auch endlich ausreichend Platz, um die Sammlung präsentieren zu können: Auf rund 100 Quadratmetern waren in 37 Schränken Drogen aus der ganzen Welt ausgestellt. Für Tschirch diente die Sammlung aber nicht in erster Linie zur Repräsentation, sondern als ein wichtiges Vermittlungsinstrument in der Ausbildung. Deshalb setzte er sich für die Erweiterung ein. Die meisten Drogen wurden über ein breites Netz an Lieferanten bezogen, wie beispielsweise der 1835 in Dresden gegründeten Drogeriewarenhandlung Gehe & Cie.


Porträt von Alexander Tschirch, 1926 (Wellcome Collection / https://wellcomecollection.org/works/cqb553yv)


Aussenansicht von Südwesten der alten Kavalleriekaserne (Institut für Medizingeschichte / BDO_183)


Ein Blick in Tschirchs Publikationen erlaubt einen Einblick in die Pharmakognosie um 1900 und zeigt auch, dass die Sammlung nicht nur für die Lehre, sondern auch für die Forschung genutzt wurde. In seinem 1909 herausgegebenen Handbuch der Pharmakognosie betonte Tschirch, dass die Pharmakognosie nicht einfach «ein Anhängsel der Botanik» sei, sondern eine selbstständige, nicht rein deskriptive, sondern auch experimentelle Wissenschaft, zu der die Chemie, aber auch «Sprach- und Länderkunde, Geschichte und Handelsgeographie» beitrage. Das Handbuch behandelt dann auch nicht nur Morphologie, Anatomie und chemische Zusammensetzung der jeweiligen Drogen, sondern auch Methoden der Ernte und Weiterverarbeitung, Handelswege und beinhaltet sogar ethnologische Einschübe, die über die indigene Nutzung – wie beispielsweise das «Betelkauen» oder «Matetrinken» – Auskunft geben.


Fotos einer Trockenvorrichtung für «Chinarind» auf Java und Paprikapflanzungen in Bulgarien in Tschirchs Handbuch der Pharmakognosie (Quelle: Digitale Bibliothek, Technische Universität Braunschweig / http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00040349)


Auch das «grosse Drogenmuseum» – wie Tschirch die Sammlung auch stolz nannte – bestand nicht ausschliesslich aus den Drogen. Gerahmt wurde es von einer ‘exotisierenden’ Ausstellung von Verpackungen, Instrumenten, Gefässen und Pflanzen, die die Herkunft der Objekte aus nahezu allen bekannten, von Bern weit entfernten Regionen der Welt betonten.


Das Berner Opium

Von den bis zu 60'000 Objekten im Jahr 1920 ist heute nur noch ein Bruchteil erhalten. Doch der Kern der Sammlung konnte gerettet werden. Leider ging das ursprüngliche Inventar unwiederbringlich verloren. Deshalb inventarisierte der Pharmazeut, Pharmaziehistoriker und Kenner der Berner Sammlung, François Ledermann, gemeinsam mit Manfred Fankhauser von 2007 bis 2009 im Rahmen eines Projekts des Schweizerischen Nationalfonds die gesamte Sammlung neu. Sie identifizierten die Drogen, stellten Verbindungen zur zeitgenössischen Forschungsliteratur her, vergaben eindeutige Inventarnummern, vermerkten, falls möglich, die geografische Herkunft und hielten selbstverständlich den Standort fest. So lässt sich die Sammlung online durchsuchen und die einzelnen Proben lassen sich bei Bedarf ohne Probleme auffinden.

Allein beim Opium und Schlafmohn sind 27 Muster unterschiedlicher geografischer Herkunft vorhanden. Doch nicht nur aus fernen Ländern, sondern auch aus der Nähe. In der Sammlung steht noch heute ein Topf mit «Opium bernense»: Berner Opium. Die Etikette mit der Aufschrift «Pharmakognostische Sammlung der Hochschule Bern» ermöglicht eine ungefähre Datierung. Das Opium kam zwischen 1870 und 1890 in die Sammlung. Dass gerade Opium sich in so vielen Mustern und auch in einer Berner Variante sich in der Sammlung befindet, ist kein Zufall. Opium, der getrocknete Milchsaft von Schlafmohn, gehört zu den ältesten Heilmitteln, erfuhr aber gerade im 19. Jahrhundert durch die naturwissenschaftliche Pharmazie grosses Interesse – so auch in Bern.


Opium bernense (Institut für Medizingeschichte / Inv.-Nr. 1135)


Beinahe 25 Jahre nach der Schliessung des Instituts kann nun seit 2020 an der Universität Bern wieder das komplette pharmazeutische absolviert werden. Damit steigen auch die Chancen, dass in Zukunft die historischen Drogen wie das Berner Opium verstärkt wieder in die Lehre miteinbezogen werden. Nicht mehr als zentraler Pfeiler der Ausbildung wie um 1900, aber immerhin als Zeugnisse der Geschichte des Fachs.


Auswahlbibliografie:

Ledermann, François: Fundstück: Berner Opium, in: Berner Zeitschrift für Geschichte 73 (2011), S. 44–47.

Ledermann, François; Hörmann, Ursula: A Short History of the Pharmacognostic Collection of the University of Berne Switzerland, in: Pharmacy History 41 (1999), S. 60– 64.

Ledermann, François: "Tschirch, Alexander", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.01.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/014671/2014-01-07/, konsultiert am 02.07.2023.

Ledermann, François; Zerobin, Claudia (Hg.): 150 Jahre Tschirch – Tschirch 150 ans: Akten des Symposiums der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie zum 150. Geburtstag von Alexander Tschirch, Liebefeld 2007.

Tschirch, Alexander: Handbuch der Pharmakognosie, Band 1: Allgemeine Pharmakognosie, Abteilung 1, Leipzig 1909.