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Objektgeschichten: Milchpumpen



12. Februar 2024



Ein Sprint durch die Geschichte des Stillens

Wer glaubt, die Milchpumpe sei ein modernes Gerät, das im feministischen Kampf um Gleichstellung in Care- und Lohnarbeit erfunden und verbreitet wurde, liegt falsch. Die Nutzung von Milchpumpen ist bereits vor 2500 Jahren belegt. Doch ganz so konstant wie die Nutzung der Technik ist das medizinische und gesellschaftliche Verständnis des Stillens nicht.


Heute nutzen nach US-amerikanischen Studien rund 80 Prozent der Stillenden in den ersten Monaten nach der Geburt eine Milchpumpe (Eglash/Malloy 2015: 855). Die Motivation dafür ist unterschiedlich: Manchmal wollen die Mütter damit ihre Milchproduktion steigern oder einen Milchstau verhindern. Häufig dient ihnen die Milchpumpe aber auch dazu, flexibler zu bleiben und die Ernährung des Kindes abgeben zu können.

Die elektrischen Pumpen, die heute im Heimgebrauch verbreitet sind, wurden in den 1920er Jahren erfunden. Die sogenannten "Abt-Pumpen" entstand in einer Kollaboration des Ingenieurs Edward Lasker, der in der Kuhmilch-Industrie arbeitete und des Kinderarztes Isaac Arthur Abt, der die Technik Laskers schliesslich auf Menschen übertrug.

Zunächst waren Spitäler mit solchen Pumpen ausgerüstet. Dort nutzten sie Mütter von schwachen oder kranken Kindern, die nicht genügend Kraft zum Saugen an der Brust hatten. Neben den elektrischen Pumpen wurden aber auch dort weiterhin manuelle Milchpumpen eingesetzt – diese Pumpen haben eine bedeutend weiter zurückreichende Geschichte.

Die antiken "gutti" waren Flüssigkeitsbehältnisse, die ihren Inhalt tropfenweise abgaben. Sie wurden auch für die Säuglingsernährung eingesetzt. Einige davon funktionierten gleichzeitig auch als Milchpumpen; Guttus und Trinkflasche aus dem 1. oder 3. Jh. n.Chr. (Quelle: histoire-du-biberon.com)


Archäologische Funde aus dem 5. und 6. Jahrhundert v. u. Z. belegen die Nutzung von Keramikgefässen als Babyfläschchen – und als Milchpumpen. Die Stillende legte das Gefäss mit der Öffnung an die Brust und dann musste je nach Grösse des Gefässes die Stillende oder eine helfende Person am Röhrchen saugen, bis Milch in den Hohlraum floss. Ausserdem funktionierten diese antiken Milchpumpen auch mit Wasser: Wenn sie damit gefüllt wurden und die Stillende das Wasser dann in kleinen Portionen abfliessen liess, entstand ein Vakuum und damit ein saugender Unterdruck im Gefäss (Obladen: 2012:670).

Archäologen bargen diese antiken Milchpumpen – nach ihrer Funktionsweise "gutti" genannt, also Gefässe, die Flüssigkeiten tropfenweise abgeben – aus Gräbern von Kindern, die noch während der Stillzeit verstorben waren. Manche "gutti" hatten die Form einer weiblichen Brust, andere waren nach Tieren geformt oder mit Abbildungen von Stillenden mit Kind verziert (Obladen 2012: 669). Vielleicht tranken vor allem kranke und schwache Kinder Milch daraus, wie noch in der Frühen Neuzeit und auch im beginnenden 20. Jahrhundert, oder vielleicht entlasteten sich die Stillenden mit der Nutzung der Gefässe. Die Umstände des Gebrauchs lassen sich schwer rekonstruieren, denn bei den antiken Funden fehlen leider die Gebrauchsanweisungen.


Welpen stillen und Brustwarzen schröpfen

Für die Frühe Neuzeit ist die Überlieferungsgrundlage besser. In historischen Hebammenbüchern, also Anleitungswerken für den Beruf, behandeln diverse Mediziner und vereinzelt auch Hebammen das Thema Milchpumpe. So schreibt Apotheker Walther Hermann Ryff, der als Autor, Herausgeber sowie Übersetzer zeitgenössisch sehr erfolgreich war, in seinem 1545 gedruckten geburtshilflichen Handbuch der "Frawen Rosengarten":


"Dann sol die mutter erstlich die grob milch wol auβ den brüsten saugen lassen / oder mit solchem Instrument selber saugen / wie es hie verzeychnet stehet."



Abbildung aus "Frawen Rosengarten" von Walther Hermann Ryff, 1545 (Quelle: digitale-sammlungen.de)



Ryff folgte damit dem zeitgenössischen Verständnis, dass die erste Milch unmittelbar nach der Geburt für das Kind schädlich sei. Die historisch belegte Ablehnung des Kolostrums hing wohl auch mit dessen Aussehen zusammen. Die dickflüssige, gelbliche Milch galt als unrein und die medizinischen Handbücher rieten den Müttern, sie von Hand oder mit einer Milchpumpe zu entfernen – oder aber sie von Welpen absaugen zu lassen (Obladen 2012: 670; Fildes 1986: 81-85).

Diese Milchpumpen, die im 16. Jahrhundert verbreitet waren und bei Ryff abgebildet sind, hielten sich hartnäckig: Auch in der Medizinsammlung befindet sich noch ein vergleichbares Modell, das aber wohl aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammt.


Milchpumpe mit Saugrohr, vor 1900 (Institut für Medizingeschichte, Inv.-Nr. 3497)


In der Frühen Neuzeit hatten die Milchpumpen also eine andere Funktion als heute. Gegenwärtig setzen viele Mütter die Milchpumpen nicht nur ein, um die Milchproduktion anzuregen oder einen Milchstau vorzubeugen. Ihnen geht es häufig darum, Muttermilch für eine flexiblere Fütterung bereitzustellen. So kann beispielsweise auch ein:e Partner:in dem Kind die Flasche geben, wenn die Stillende nicht verfügbar ist. Historische Milchpumpen dienten hingegen primär zur Stillvorbereitung. Ausserdem konnten Milchpumpen eine Krankheit der Stillenden oder des Kindes sozusagen überbrücken.

Zur Stillvorbereitung gehörte im frühneuzeitlichen Verständnis auch die Vorbereitung der Nippel, die zu "flach" oder gar sogenannte "Hohlwarzen" – also nach innen gewölbte Nippel – sein konnten. Beides würde das erfolgreiche Trinken des Kindes verhindern, so die Lehrmeinung der Mediziner. Sie machten für diese "Deformationen" auch das Tragen von Korsetten verantwortlich, das ab dem 16. und bis weit ins 19. Jahrhundert hinein insbesondere in der Oberschicht üblich war (Obladen 2012: 670f). Das Milchpumpen-Modell, das auch Ryff abbildete, sollte in diesen Fällen Abhilfe schaffen: Die Stillende konnte ihre Brustwarzen durch das lange, gekrümmte Rohr ansaugen und sich so für das Baby vorbereiten. Die Milchpumpe funktionierte dabei also ganz wie ein Schröpfglas – und diese Funktionsweise mit Unterdruck blieb im Grundsatz bis heute die gleiche.


Auch diese einfachen manuellen Milchpumpen mit Pump-Ball und Auffangkugel funktionieren mit Unterdruck (Medizinsammlung Inselspital Bern)



Die Amme der Amme

Die Milchpumpe ist also ein sehr altes und konstant genutztes Hilfsmittel; die Formen und Funktionsweisen haben sich nur wenig verändert. Doch die Ideen, die um diese Technik kreisen, sind weniger beständig: Das Kolostrum gilt heute als besonders wichtig für das Neugeborene, weil es gut verdaulich ist und Stoffe wie Vitamine und Antikörper enthält. Und die Milchpumpe fügte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts in neu entfachte Debatten um "Mutterpflichten" und die Wichtigkeit des Stillens ein. Es wurde dann in Medizin und Gesellschaft immer stärker zur zentralen Aufgabe der Mutter erklärt. Die Debatten darum, ob die Fütterung mit Flasche an das Ideal der Brust herankam, wurden teils hitzig geführt. So erregte beispielsweise die US-amerikanische La Leche League ab den 1950er Jahren viel Aufsehen mit ihrem Standpunkt, nach dem eine "gute Mutter" stille – und zwar möglichst an der Brust (Waggoner 2011:154).

Die selbst stillende Mutter steht in einem starken Kontrast zum historischen Ammenwesen. Im europäischen Raum war es im Mittelalter und der Frühen Neuzeit besonders in wohlhabenden Schichten üblich, das Kind von einer Amme stillen zu lassen – wobei der Einsatz von Ammen bereits in antiken Gesellschaften belegt ist (Fildes 1986: 98). Es entstanden regelrechte "Still-Ketten": Die reichste Frau gab ihr Kind einer ärmeren, diese gab ihres wiederum einer noch ärmeren und so weiter. Die Organisation und Verwaltung dieses Geschäftes mit Muttermilch – wie etwa die Festlegung der Arbeitsbedingungen – war dabei aber zumeist eine "Männersache" (Klapisch-Zuber 1995: 102). Zwei Hauptargumente stützten das Ammenwesen: Erstens, die Befürchtung, dass das Stillen den weiblichen Körper entstellen könnte. Zweitens, die verbreitete Vorstellung, dass Geschlechtsverkehr die Milch korrumpieren könnte. Damit die Eheleute also nach der Geburt Geschlechtsverkehr haben konnten, musste eine Amme das Stillen übernehmen (Lett/Morel 2006, S. 99).

Doch die Wahl einer Amme wurde nicht nur als Entlastung angesehen. Sie stellte auch eine Gefahr dar: Im frühneuzeitlichen Verständnis entsprach Muttermilch Blut, das im Körper der Frau umgewandelt wurde. Ein Kind trinkt also gemäss dieser Vorstellung weiss gewordenes Blut (Laqueur 1992: 50). Die Amme mischte sich mit ihrer Milch damit wortwörtlich in die Familie ein. Dabei gingen die Mediziner davon aus, dass sie nicht nur Krankheiten mit der Milch auf das Kind übertragen konnte, sondern auch Charaktereigenschaften (Klapisch-Zuber 1995: 118).

Obwohl sich bis ins 20. Jahrhundert der Konsens durchgesetzt hatte, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen Muttermilch und Blut gibt, blieben Ideen einer nachhaltig prägenden Muttermilch weiterhin in Fachdebatten präsent. So zitierte 1904 ein Arzt in einem Beitrag der Schweizer Hebamme der Zeitschrift des nationalen Berufsverbandes -eine Studie, nach der das Stillen der Militäruntauglichkeit entgegenwirken sollte.


Mit der Milchpumpe um die Welt


Neben der Sorge um das Kind gewinnt im beginnenden 20. Jahrhundert ein weiteres Argument für die Nutzung von Milchpumpen an Bedeutung: die Entlastung der Frau. Dies zeigen Werbestrategien. Sie sprechen zunehmend die entlastende Wirkung einer Milchpumpe für Stillende an – und anerkennen damit auch deren Belastung. So zum Beispiel auf der Verpackung des um 1923 aus Paris in die Schweiz vertriebenen "Saugapparats Tourtier".


Saugapparat Tourtier, 1923 (Medizinsammlung Inselspital Bern, Inv.-Nr. 13941)


Der Werbe-Slogan ist deutlich: Das Gerät verspricht ein Stillen ohne Schmerzen. Dazu ist eine gequält von ihrem Kind wegschauende Frau abgebildet, die sich mit ihrer freien Hand schützend die Brust hält – damit ist jetzt Schluss, scheint die Botschaft zu sein.

In jüngeren Werbungen wurde dann auch die Mutter "on the go" als Bild aufgerufen, womöglich im Zusammenhang mit dem zunehmenden Privatgebrauch der Pumpen. So warben die Vertreiber der in der Schweiz sehr bekannten Milchpumpe "Primissima" mit dem Zitat einer Hebamme, die mit dem Modell angeblich "um die ganze Welt reisen" würde.


Milchpumpe "Primissima" (Medizinsammlung Inselspital Bern, Inv.-Nr. 11848)


Werbung für das Modell "Primissima"  in der Zeitschrift "Schweizer Hebamme" von 1945 (e-periodica.ch)


In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahm die Verbreitung von Milchpumpen in westlichen Gesellschaften zu. Dazu gehörte auch die Etablierung der elektrischen Pumpen in Spitälern ab den 1920er Jahren. In den 1990 Jahren ist die private Nutzung von Milchpumpen beflügelt durch die Grosshersteller Medela und Ameda dann bereits weitestgehend etabliert (Eglash/Malloy 2015: 856). Aktuell werden sie von den Stillenden insbesondere zur flexibleren Fütterung und nicht mehr nur als Stillvorbereitung oder Notlösung gebraucht. Die Entlastung der Mutter steht also nun deutlich im Fokus – sowohl körperlich als auch in Bezug auf ihre Care-Arbeit.

Milchpumpen haben sich über die 2500 Jahre, in denen sie belegbar genutzt wurden, also zusammenfassend nur wenig verändert: Eine Saugglocke mit Auffangbehälter in Keramik, Glas oder Plastik, daran ein Rohr zum Saugen oder zum Anschliessen einer Pumpe. Was sich jedoch veränderte, ist der gesellschaftlich-kulturelle Kontext, in denen Fachpersonen deren Vor- und Nachteile diskutierten und Stillende sie nutzten: Wie Menschen über Milchpumpen und das Stillen denken und sprechen, ist unmittelbar an die jeweils aktuellen Geschlechterbilder und -rollen gebunden, welche ungleich komplexer sind als die sich seit Jahrhunderten hartnäckig haltende Funktionsweise der Pumpen.




Katja Lindenmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin Medizinsammlung Inselspital Bern



Auswahlbibliografie:

Eglash, Anne/Malloy, Michele L.: Breastmild Expression and Breast Pump Technology, in: Clinical Obstetrics and Gynecology 58 (4), 2015, S. 855–867.

Fildes, Valerie A.: Breasts, Bottles and Babies, Edinburgh 1986.

Klapisch-Zuber, Christiane: Das Haus, der Name, der Brautschatz. Strategien und Rituale im gesellschaftlichen Leben der Renaissance, Frankfurt a. M. 1995.

Laqueur Thomas: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, Frankfurt a.M. 1992.

Lett, Didier/ Morel, Marie-France: une histoire de l’allaitement, Paris 2006.

Obladen, Michael: Guttus, Tiralatte and Téterelle. A History of Breast Pumps, in: Journal of Perinatal Medicine 40, 2012, S. 669–675.

Waggoner, Miranda R.: Monitoring Milk and Motherhood: Lactation Consultants and the Dilemmas of Breastfeeding Advocacy, in: International Journal of Sociology for the Family 37 (1), Policing Motherhood, 2011, S. 153–171.