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Objektgeschichten: Inkubator «Isolette II-M-1300»



12. Februar 2024



Die Isolette II-M-1300 ist ein Inkubator – oder umgangssprachlich ein «Brutkasten» – für Frühgeborene. Hergestellt wurde das Modell von den Draeger Werken in Lübeck ab 1956. Dank einer datierten Bedienungsanleitung wissen wir, dass ab Juli desselben Jahres Frühgeborene im Inselspital in diese Isolette gelegt wurden. Für die kommenden 15 Jahre war das Gerät in Verwendung; denn aus diesem Jahr ist noch eine Anleitung zur Desinfektion überliefert. Der Hersteller bewirbt den Inkubator im Katalog damit, dass er «[a]lle technischen Möglichkeiten zum Schutz und zur Pflege des frühgeborenen Kindes» biete. Dazu gehörte die Kontrolle der Temperatur, der Luftfeuchtigkeit und des Sauerstoffgehalts. Heute sind Inkubatoren nicht mehr wegzudenken. Sie unterstützen mit einem kontrollierten Mikroklima Frühgeborene in ihrer Entwicklung. Flächendeckend setzten sie sich jedoch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch.



Die Ärzte übernehmen

Lange Zeit wurde die Mehrheit der Kinder nicht in Krankenhäusern, sondern zuhause geboren. Für die Neugeborenen waren weniger die Ärzte, sondern die Hebammen und die Mütter verantwortlich. Erst im 19. Jahrhundert etablierten sich Geburtskliniken und die Ärzte übernahmen die Kontrolle über die Geburt und die Nachsorge von Neugeborenen. In diesem Zusammenhang gab es erste Versuche, mit technischen Hilfsmitteln die Überlebenschancen von «Frühchen» zu erhöhen. Als einer der Hauptgründe für eine erhöhte Sterblichkeit galt eine zu tiefe Körpertemperatur. Deshalb zielte die ersten, einfachen Geräte darauf ab, eine konstante, angemessene Umgebungstemperatur zu gewährleisten. Der deutsche Arzt Johann Georg Ruehl führte 1935 in St. Petersburg eine erste Wärmewanne ein. Die sogenannte Ruehl’sche Wiege bestand aus einer doppelwandigen Blechwanne. Warmes Wasser wurde in die Zwischenräume eingefüllt und wärmte so die Luft, die den Säugling umgab.


Als eigentliches Vorläufermodell der gegenwärtigen Inkubatoren gilt die «Couveuse» für neugeborene Kinder des französischen Arztes Stéphane Tarnier. Er liess sich von Brutapparaten für Hühnereier inspirieren und gab die Konstruktion eines hölzernen Kastens in Auftrag, mit dem sich – ebenfalls über einen Warmwassertank – Temperatur und Luftzirkulation kontrollieren liessen.


Section of Tarnier's incubator; Budin, The Nursling, 1907 (Wellcome Collection)


Frühgeborene in Inkubatoren – eine Attraktion!

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden mehrere Inkubatorenmodelle entwickelt, die ähnlich wie Tarniers «Couveuse» funktionierten. Sie kamen vereinzelt in Krankenhäusern zum Einsatz, gehörten aber nicht zur Standardbehandlung von Frühgeborenen. Aus verschiedenen Gründen: Viele Geburten fanden immer noch zu Hause und nicht in den Krankenhäusern statt und der Betrieb der Inkubatoren erwies sich als äusserst personalintensiv, da die Neugeborenen immer überwacht werden mussten. In Zeiten der Eugenik war zudem auch unter Ärzten durchaus umstritten, ob Frühgeborenen überhaupt geholfen werden sollte.


Nicht in Krankenhäusern, sondern an einem anderen Ort erfreuten sich die Inkubatoren jedoch grosser Beliebtheit: An Messen und Ausstellungen konnte zahlendes Publikum in Pavillons Frühchen in Inkubatoren begutachten. Die berühmteste «Incubator-Baby Sideshow» präsentierte Martin Couney im New Yorker Vergnügungspark auf Coney Island. Von 1903 und bis 1943 präsentierte Couney tausende Kinder in gläsernen Inkubatoren. Was heute unvorstellbar klingt, wurde auch von Zeitgenossen bereits kritisiert. Doch Martin Couney war nicht (nur) ein skrupelloser Geschäftsmann. Er rettete zahlreichen Kindern das Leben und trug mit zur Popularisierung der Inkubatorentechnologie bei.


"Ausstellung" von Frühchen in Inkubatoren, 1906 (Wellcome Collection)


Die Etablierung und das Problem mit dem Sauerstoff

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierten sich die Inkubatoren nun flächendeckend in den Krankenhäusern und grosse Medizintechnikhersteller brachten Modelle auf den Markt, die den medizinischen Ansprüchen der Zeit genügten: Die Kinder waren unter einer rahmenlosen Plexiglashaube gut sichtbar und für die Pflege über Schleusen gut zugänglich. Neben der Temperatur konnten neu auch Luftfeuchtigkeit und Sauerstoffgehalt in den geschlossenen Systemen reguliert werden. In den 1940er Jahren tauchte jedoch ein neues Problem auf: Bei Kindern, die in Inkubatoren behandelt worden waren, trat vermehrt eine Augenerkrankung auf, die sogar zur Erblindung führen konnte. Nachdem zunächst Vitaminmangel oder Infektionen als Ursache vermutet worden waren, wurde klar, dass eine zu hohe Sauerstoffkonzentration der Auslöser war. Seither achten Ärztinnen und Ärzte genau auf das korrekte Mischverhältnis der Atemluft. Auch das Modell in der Medizinsammlung verfügt deshalb nicht nur über einen Anschluss für die Sauerstoffzufuhr, sondern auch über eine Vorrichtung, mit der einfach eine Luftprobe entnommen und die Sauerstoffkonzentration gemessen werden kann.



Auswahlbibliographie

Baker, Jeffrey: The Machine in the Nursery: Incubator Technology and the Origins of Newborn Intensive Care, Baltimore 1996

Dunn, P. M.: Stéphane Tarnier (1828–1897), the Architect of Perinatology in France, in: Archives of Disease in Childhood, April 2002.

Durbach, Nadja: Baby Incubators and the Prostetic Womb, in: Victorian Reviews (39), 2, 2009, S. 23-27.

Marx, Felix F.: Die Entwicklung der Säuglingsinkubatoren: Eine medizin-technische Chronik, Bonn 1968.