Sichtbar machen

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Ärzte und Naturforscher interessieren sich schon lange für das Körperinnere. Jahrhundertelang müssen sie dafür den toten Körper öffnen oder können nur indirekt, etwa über Tast- und Hörsinn, auf Form und Funktionsweise des Inneren schliessen. Die Entdeckung der X-Strahlen gegen Ende des 19. Jahrhunderts löst deswegen eine medizinische Revolution aus. Erstmals sind die Mediziner in der Lage, in den lebenden Körper zu blicken. Die Röntgentechnik verbreitet sich schnell – nicht nur als Diagnose-, sondern auch als Therapiemethode. Sie bildet die Grundlage für weitere bildgebende Verfahren. Heute prägen Bild und Film über Vorgänge im Körperinneren nicht nur die Forschung, die Diagnose und die Therapie, sondern auch die öffentliche Wahrnehmung der Medizin.

Röntgenrevolution

Am 8. November 1885 experimentiert ein noch unbekannter Physiker in Würzburg mit einer Kathodenstrahlenröhre. Er bemerkt, dass die Strahlen aus der Röhre Objekte als helle Schatten auf einer fotografischen Platte abbilden. Kurz darauf informiert Wilhelm Conrad Röntgen erstmals die Öffentlichkeit über seine Beobachtung «einer neuen Art von Strahlen», die Körper durchdringen und Objekte abbilden können. Die Bedeutung der Entdeckung für die medizinische Diagnose liegt für viele auf der Hand, und die Technik verbreitet sich rasch. Allerdings müssen in den folgenden Jahren zuerst Apparate und Röhren verbessert und die Verfahren standardisiert werden.

Berner Anfänge

In Bern ist es der Physiker und Meteorologe Aimé Forster, der in seinem Labor der Universität Bern die ersten Röntgenbilder herstellt. Er präsentiert bereits 1896 «Radiographische Aufnahmen: ausgeführt mit Röntgenschen Strahlen» und weist auf die Bedeutung der neuen Technologie für die Diagnose hin. Anfänglich nutzen auch die Inselchirurgen die Röntgenanlage des Physikalischen Instituts, bevor im Januar 1898 in einem Anbau der Chirurgischen Klinik ein eigenes Röntgeninstitut in Betrieb genommen wird.

Bildproduktion

Röntgenbilder bilden nicht einfach die Natur ab, sondern sie müssen produziert werden. Um die Vergleichbarkeit der Bilder zu gewährleisten, werden in den Anfangsjahren die Aufnahmeverfahren zuerst standardisiert. Skeptiker weisen darauf hin, dass fehlerhafte Einstellungen auch zu fehlerhaften Bildern führen, die als pathologische Befunde gedeutet werden können. Dass sich die Röntgentechnik durchsetzen kann, ist deshalb auch mit der Entwicklung fotografischer Platten sowie von Röntgenröhren und Fluoreszenzschirmen verbunden. Der grosse Boom ermöglicht die Entstehung kleinerer Firmen, wie der Roewag AG in Bern. Die Roewag AG stellt aus Einzelkomponenten ganze Geräte zusammen.

Röntgenröhren

Nach der Entdeckung der X-Strahlen spezialisieren sich verschiedene Firmen, wie etwa Siemens, schnell auf die Produktion von Röntgenröhren. In diesen Röntgenröhren werden die X-Strahlen in einem Vakuum produziert. Sie entstehen durch den Aufprall von Elektronen auf eine Anode. Einer der frühen Hersteller ist Reinhold Burger in Berlin. Er entwickelt gemeinsam mit Wilhelm Conrad Röntgen Röhren für die Diagnose, bald aber auch für die Therapie. Seine Therapieröhre kommt ab 1913 auch im Berner Röntgeninstitut zum Einsatz.

Bilder lesen

Mit den Röntgenstrahlen lassen sich Dinge sehen, die zuvor im Körperinneren verborgen waren. Die neue Technik konkurriert also mit den älteren physikalischen Untersuchungsmethoden. Die Bedeutung der Bilder erschliesst sich jedoch nicht von selbst. Bis heute müssen geschulte Expertinnen und Experten die Bilder interpretieren. In den Anfangsjahren müssen sich Mediziner, Physiker und Techniker zuerst darüber verständigen, was die Abbildungen genau zeigen. Sie sind sich nämlich nicht immer ganz sicher, ob es sich bei den Abbildungen um zuverlässige Darstellungen handelt. Ab 1900 helfen umfassende Bildatlanten dabei, Verletzungen und Krankheiten richtig zu erkennen.

Ganz normale Bilder

Ab 1900 erscheinen verschiedene Röntgenatlanten. Die Röntgenbilder sprechen dabei nicht einfach für sich selbst, sondern werden durch Zeichnungen und Erklärungen ergänzt. Zwischen 1905 und 1939 wird der «Atlas typischer Röntgenbilder» von Rudolf Grashey sechsmal neu aufgelegt. Grashey zeigt darin Röntgenbilder von «normalen» Menschen ohne Erkrankung. Sie dienen als Musteraufnahmen, um Abweichungen – gemeint sind damit Krankheiten oder Verletzungen – zu identifizieren.

Röntgenrätsel

Manche Röntgenbilder sind schwer zu entziffern: 1920 stehen zuerst die Ärzte in der Psychiatrischen Universitätsklinik Waldau, dann die Kollegen im Inselspital vor einem Rätsel. Ein Patient klagt über Magenbeschwerden. Im Inselspital röntgen ihn die Ärzte – doch auf dem Bild erkennen sie nur vage einen schwarzen Körper. Erst die Operation bringt Klarheit: Der Patient hat offenbar seine Bettwäsche in Streifen zerrissen, zusammengerollt und dann gegessen.

Verstrahlt

Im frühen 20. Jahrhundert herrscht eine grosse Strahlenbegeisterung: Es gibt kaum etwas, das nicht geröntgt wird. Für die Medizin bricht nicht nur ein neues Diagnosezeitalter an, sondern die Strahlen erweitern auch das Therapiearsenal. Dabei unterschätzen die Beteiligten zunächst die Gefahren, sodass viele Leute, die mit der neuen Technologie arbeiten, Strahlenschäden erleiden. So muss im März 1899 das Röntgeninstitut des Inselspitals kurzzeitig schliessen, weil der Leiter sich wohl eine «Röntgendermatitis» zugezogen hat. Erst allmählich werden Massnahmen getroffen: Patientinnen und Techniker tragen nun Bleischürzen und die Röntgenstrahlung wird mit Messgeräten fein justiert.

Strahlenschutz

In der Frühphase des Röntgenverfahrens nutzen die Strahlentherapeuten häufig ihre eigene Hand, um die Intensität der Strahlen zu überprüfen. Als sich mit der Zeit herausstellt, dass die Strahlen gefährlich sein können, halten Strahlentherapeuten und Ärzte nicht mehr ihre eigene Hand, sondern eine «Testhand» vor das Gerät. Ab 1930 kommen dann sogenannte Dosimeter zum Einsatz, die die Strahlungsdosis präzise aufzeichnen. Um die ungewollte Strahlung zu minimieren, beginnen Ärzte und Patientinnen zudem, Schutzkleidung aus Blei zu tragen.

Phantom

1975 schafft die Abteilung für Strahlenphysik des Inselspitals ein «Phantom» an, mit dem sich gefahrlos und präzise die Strahlenbelastung messen lässt. Es besteht aus einem echten menschlichen Skelett, das sich in einem transparenten Kunststoffgefäss befindet. Das Gefäss ist dem menschlichen Körper nachempfunden und lässt sich mit Wasser füllen. So verfügt das «Phantom» über sehr ähnliche Eigenschaften wie ein menschlicher Körper, der ebenfalls bis zu 80 Prozent aus Wasser besteht.

Weiterentwicklung der Röntgentechnik

Mit dem neuen Verfahren können Ärzte bei der Diagnose auf Bilder zurückgreifen. Ärztinnen deuten die Aufnahmen und stellen Knochenbrüche oder krankhafte Veränderung fest. Die Röntgentechnik entwickelt sich weiter und ist auch Ausgangspunkt für weitere bildgebende Verfahren. So ermöglichen kleine bewegliche Röntgengeräte ab den 1950er-Jahren den Einsatz während Operationen. Seit den 1970er-Jahren erweitern computergestützte Schnittbildverfahren die diagnostischen Möglichkeiten. Die sogenannte Computertomografie ist eine Weiterentwicklung des Röntgenverfahrens.

C-Bogen

Mitte der 1950er-Jahre wird der sogenannte C-Bogen entwickelt – benannt nach dem C-förmigen Aufbau des Geräts. Er beruht auf der Röntgentechnik, lässt sich jedoch schwenken und drehen. So können Chirurgen während einer Operation auf Bilder des Körperinnern zurückgreifen. Zudem ermöglicht die Digitalisierung seit den 1990er-Jahren, die Aufnahmen zu speichern und jederzeit abzurufen. Neuerdings gibt es auch Geräte, die innert Sekunden den ganzen Körper scannen, um schnell mehrfache Verletzungen feststellen zu können.

Rotierende Röhren

Im Verlauf der 1970er-Jahre erfährt die Röntgentechnik eine wichtige Weiterentwicklung, und die ersten Kliniken nehmen Computertomografen in Betrieb. Dabei dreht sich eine Röntgenröhre um die liegende Patientin. Detektoren fangen die Röntgenstrahlung auf und messen, wie stark sie von den verschiedenen Organen abgeschwächt wird. Der Computer berechnet aus diesen Informationen dreidimensionale Schnittbilder. Im Inselspital wird 1977 ein erster Computertomograf installiert. Mit dem Gerät lassen sich Aufnahmen des Schädels herstellen. Kurz darauf erhält das Institut für Diagnostische Radiologie den ersten Ganzkörper-Scanner.

Das Schweizer Fernsehen erklärt die Funktionsweise der Computertomografie, 1982

Sonden, Schall, Magnete

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablieren sich weitere bildgebende Verfahren, die nicht auf der Strahlen-Technik basieren. Die Sonografie nutzt Echos von Schallwellen, um Gewebe sichtbar zu machen. Die Magnetresonanztomografie produziert Schichtbilder, die sich zu einem dreidimensionalen Bild zusammensetzen lassen. Die Bilder müssen jedoch gelesen werden: Der geschulte Blick der Expertin oder des Experten ist nötig, um sie interpretieren zu können.

Magnetresonanztomografie

In den 1970er-Jahren wird eine neue Technik entwickelt: die Magnetresonanztomografie. Hierfür wird ein starkes Magnetfeld hergestellt, um Informationen über Wasserstoff-Atomkerne im Körper zu gewinnen. Mathematische Verfahren erlauben dann eine Umwandlung in Bildinformationen. Der grosse Vorteil der neuen Technologie: Sie macht Gewebe und Flüssigkeiten sichtbar. Zudem sind die Patienten und Patientinnen keiner Strahlenbelastung ausgesetzt. Das Inselspital 1988 nimmt den ersten Magnetresonanztomografen in Betrieb. Der Grosse Rat spricht für das Gerät und die Erstellung eines Pavillons 5,2 Millionen Franken.

Ultraschall

Die Sonografie gehört heute zu den wichtigsten bildgebenden Diagnoseverfahren der Medizin. Sie nutzt den für Menschen nicht hörbaren Ultraschall. Dieser wird an den Grenzflächen verschiedener Gewebearten wie ein Echo reflektiert. Die Laufzeit der Schallwellen gibt Auskunft über die Entfernung, die Stärke der Reflexion und über die Art des Gewebes – wie ein Echo. Diese Informationen lassen sich in Bilder übersetzen. Bereits um 1950 gibt es erste Versuche, die aus dem militärischen Kontext stammende Technik für die Diagnose einzusetzen. Doch erst in den 1980er-Jahren setzt sie sich – etwa bei Schwangerschaftsuntersuchungen – als Standardverfahren durch.

Endoskopie

Lange ist das Aufschneiden des Körpers die einzige Möglichkeit, einen direkten Einblick in die Struktur und die Vorgänge im Inneren zu erhalten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden verschiedene Instrumente entwickelt, die zur Betrachtung des Körperinneren dienen. Augenspiegel, Endoskope und Kehlkopfspiegel ermöglichen Blicke unter die (Schleim-)Haut. Diese endoskopischen Methoden erfahren im 20. Jahrhundert eine rasante Entwicklung: Sie werden beweglicher, kleiner und mit neuen Aufnahmemethoden verbunden. Sie finden heute in zahlreichen medizinischen Fachbereichen Anwendung und sind auch die Voraussetzung für minimalinvasive Eingriffe.

Sehen heisst glauben

Ob man etwas einleuchtend findet, die Perspektive wechselt, sich einen Sachverhalt vor Augen führt, endlich klarsieht oder einen guten Einblick erhalten hat – der menschliche Sehsinn und das Denken hängen eng miteinander zusammen. Das gilt auch für die Medizin - wir wollen nicht nur eine Diagnose hören, sondern sie möglichst auch im Bild sehen. Wer erinnert sich nicht an das Bild des eigenen Kindes in der Gebärmutter? Wer will nicht das MRI-Bild anschauen, das den Bandscheiben-Vorfall zeigt? Mit dem Bild versichern wir uns, dass wir tatsächlich schwanger, krank oder gesund sind. Auf dieses Vertrauen in das Bild setzt die Medizin, wenn sie uns ihre neusten Errungenschaften oder Eingriffe erklärt.

Live dabei

Im Jahr 2000 überträgt das Schweizer Fernsehen in einer fünfstündigen Livesendung eine Herzoperation direkt aus dem Berner Inselspital. Die Präsentation des erfolgreichen Eingriffs dient nicht nur der Aufklärung, sondern vermittelt auch ein positives Bild der Spitzenmedizin und des Inselspitals als eines ihrer Zentren. Die Zuschauer und Zuschauerinnen können selbst sehen und mitverfolgen, welch hoher Aufwand hier im Interesse des Menschen betrieben wird.

Bildervielfalt

Seit der Erfindung des Röntgens haben sich bildgebende Verfahren als zentraler Bestandteil der medizinischen Untersuchungen etabliert. Verschiedene Methoden eröffnen den Blick ins Körperinnere. Ungeschulte Personen sehen auf den Bildern oft nur Schatten, undeutliche Strukturen oder vage Umrisse. Geschulte Expertinnen und Experten können hingegen krankhafte Veränderungen erkennen, eine Diagnose stellen und eine entsprechende Therapie planen. Finden Sie heraus, was zu sehen ist?

Auswahlbibliografie

  • Bradley, William G. (2008): History of Medical Imaging, in: Proceedings of the American Philosophical Society 152(3), p. 349–361.

  • Dommann, Monika (2003): Durchsicht, Einsicht, Vorsicht: eine Geschichte der Röntgenstrahlen, 1896-1963, Zürich.

  • Eckart, Wolfgang U. (2017): Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Berlin (8).

  • Gugerli, David & Orland, Barbara (Hg.) (2002): Ganz normale Bilder, in: Historische Beiträge zur visuellen Herstellung von Selbstverständlichkeit, Zürich.

  • Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim (2014): Herzblut: Geschichte und Zukunft der Medizintechnik, Darmstadt.

  • Leu, Fritz (Hg.) (2006): Das Inselspital: Geschichte des Universitätsspitals Bern 1954-2004, Bern.

  • Powers, Jeff & Kremkau, Frederick (06.08.2011): Medical Ultrasound Systems, in: Interface Focus 1(4), Royal Society, p. 477–489.

  • Rennefahrt, Hermann & Hintzsche, Erich (1954): 1354-1954. 600 Jahre Inselspital, Bern.

  • Siemens Healthineers (2017): Geschichte der Ultraschall-Diagnostik, Erlangen.

  • Ultraschall Museum (2020): Zur Geschichte der Ultraschalldiagnostik, Neuruppin.

  • Wyss, Sabine (1995): Radiologie in Bern: 1896-1946. Bern.