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Ausstellungsgeschichten: Der «Lundia»-Respirator und die Etablierung der Überdruckbeatmung



12. Februar 2024



1958 richtete das Inselspital im Haus 28 einen Raum für die Intensivbehandlung von Patient:innen ein: Fünf Betten in einem Abstand von weniger als einem Meter standen zur Verfügung - dazwischen Beatmungsgeräte. Diese Engström-, Bird- oder Lundia-Respiratoren gehörten zur ersten Generation von Beatmungsgeräten, die nach dem Prinzip der Überdruckbeatmung funktionierten und damit die grossen und ungleich teureren «Eisernen Lungen» überflüssig machten. Die Berner Intensivstation läutete damit ein neues Zeitalter der Beatmung ein, das auch grosse Veränderungen für die Pflege mit sich brachte: Denn die Bedienung der komplexen Geräte fiel in den Aufgabenbereich der Pflegefachpersonen, die sich auch weiterhin um die Grundversorgung der Patient:innen kümmerten und die Angehörigen betreuten. Die Geschichte der Beatmung lässt sich nicht einfach als eine Geschichte der Medizintechnik erzählen. Dass sich die maschinelle Beatmung durchsetzte (oder eben auch nicht), ist das Resultat von komplexen Wechselwirkungen: Physiologie, Chirurgie spielten genauso eine Rolle, wie die Medizintechnik oder das Auftreten von Epidemien.


Eine sehr kurze Geschichte der Beatmung

Seit wann können Menschen künstlich beatmet werden? Bereits im Alten Testament der Bibel oder der ägyptischen Mythologie gibt es Hinweise auf Wiederbelebungsversuche und Mund-zu-Mund-Beatmung. Wie diese Stellen jedoch zu verstehen sind und ob sie für eine weiter verbreitete Praxis der künstlichen Beatmung stehen, ist jedoch mehr als fraglich. Bei den antiken Naturforschern und Ärzten finden sich dann erste detailliertere Ausführungen zur Funktionsweise der menschlichen Atmung. Der griechische Arzt Galen studierte die menschliche Atmung und postulierte, dass die Atmung verantwortlich war für das Schlagen des Herzens. Diese anatomische Erkenntnis blieb für die Praxis jedoch genauso folgenlos, wie die Revision Galens durch die moderne Anatomie, wie sie sich im 16. Jahrhundert etablierte. Der flämische Anatom Andreas Vesal, der mit seriellen Obduktionen die Anatomie auf eine neue Grundlage stellte, verwies in seinem HauptwerkDe corporis humani fabrica sogar auf die Möglichkeit einer künstlichen Beatmung – zumindest bei Tieren: «Damit aber das Leben des Tieres wiederhergestellt werden kann, muss man versuchen, eine Öffnung in den Rumpf der Luftröhre zu machen, in die man ein Rohr aus Schilf oder Schilfrohr steckt; dann bläst man hinein, damit die Lunge wieder aufsteigt und Luft bekommt.» In der Folge griffen Anatomen immer wieder auf die von Vesal beschriebene Technik zurück, um die Funktionsweise der Brustorgane zu veranschaulichen. Doch sowohl für die Wiederbelebung oder eine längere Beatmung und damit für die Arbeit der Mediziner und Chirurgen scheint sie weiter keine Rolle gespielt zu haben. (Baker 1971: 337-338).

Erst im 18. Jahrhundert rückte das Ertrinken und Ersticken verstärkt in den Fokus der Wissenschaft und der Öffentlichkeit. Das zeigte sich nicht nur an Gründungen von zahlreichen Rettungsgesellschaften, sondern auch an den nachweislich ersten Beatmungsversuchen – Mund-zu-Mund oder mit einfachen Instrumenten wie Blasebalg oder Kolben. Als jedoch Chemiker Kohlendioxid und Sauerstoff identifizierten und deren Funktion für die menschliche Arbeit beschrieben, kam die Mund-zu-Mund-Beatmung wieder ausser Mode. Man befürchtete, dass die ausgeatmete Luft für eine Wiederbelebung nicht genügte oder sogar schädlich war. Der französische Chirurg Jean Leroy d’Etiolles wies schliesslich 1828 bei Tierexperimenten nach, dass allzu starkes Einblasen von Luft die Lunge beschädigen konnte. In der Folge nahm das Interesse der Medizin aber auch der Rettungsgesellschaften an der Überdruckbeatmung stark ab. (Niggebrügge 2011: 46-48)



Instrument zur Beatmung in Frederik Dekkers Exercitationes practicae, 1694 (Wikimedia Commons)


Diese physiologische Erkenntnis, dass die Beatmung mit Überdruck schädlich sein konnte, hatte weitreichende Folgen: Zwar griffen Physiologen in ihren Tierexperimenten weiter darauf zurück, doch als Methode, um Menschen wiederzubeleben oder sogar über längere Zeit künstlich zu beatmen, wurde die (instrumentelle) Einbringung von Luft in die menschliche Lunge für beinahe 100 Jahre kaum mehr diskutiert. Noch 1908 – als das Drägerwerk in Lübeck mit dem sogenannten Pulmotor ein Notfallbeatmungsgerät auf den Markt brachte, das Sauerstoff in die Lunge einblies –, kritisierten Ärzte den zu hohen Beatmungsdruck (Bahns 2014: 18-26).

Bis weit ins 20. Jahrhunderte hinein dominierte bei den Versuchen, Patient:innen künstlich zu beatmen, das Prinzip der Unterdruckbeatmung. Verschiedene Apparate wurden entworfen und ausprobiert, die in einem den Körper umgebenden Kasten einen Unterdruck erzeugten und so die Umgebungsluft in die Lungen strömen liess. Nach diesem Prinzip funktionierten beispielsweise die «Eisernen Lungen» oder Kürass-Ventilatoren, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts insbesondere für die Beatmung von Polio-Patient:innen etablierten (Kacmarek 2011: 1171-1172).


Die Beatmung als Problem der Chirurgie

In einem anderen Bereich der Medizin fasste die Überdruckbeatmung jedoch früher Fuss: der Chirurgie. Im 19. Jahrhundert brachten Chirurgen verschiedene Gefahren unter Kontrolle: Sie griffen auf wirksame Narkosemittel zurück, desinfizierten ihre Instrumente und stoppten den Blutverlust. So konnten sie auch komplizierte Eingriffe durchführen und lernten, zahlreiche Krankheiten und Verletzungen erfolgreich zu behandeln. Damit stieg die Chirurgie zur Leitdisziplin der Medizin auf. Kleinere Eingriffe wurden zur Routine und anspruchsvollere Operationen erst möglich. Den Brustkorb zu öffnen, war jedoch weiterhin nicht ohne weiteres möglich. Denn öffneten Chirurgen den Thorax, drohte die Lunge zu kollabieren. Um dies zu verhindern, griffen Chirurgen wie Ferdinand Sauerbruch oder Johann von Mikulicz-Radecki im frühen 20. Jahrhundert ebenfalls auf Unterdruck-Lösungen zurück und konstruierten etwa Unterdruckkammern.



Die Unterdruck-Operaktionskammer von Mikulicz und Sauberbruch (Wikimedia Commons)


Kinderlähmung und die Beatmung

Ein entscheidender Impuls für die flächendeckende Etablierung der Überdruckbeatmung waren Polio-Epidemien, die in den frühen 1950er Jahren insbesondere Skandinavien heimsuchten. Bei einem Ausbruch 1952 registrierte Dänemark beinahe 6000 Fälle, wobei mehr als ein Drittel unter Lähmungserscheinungen der Atemmuskulatur litten. Ein grosser Teil der Patient:innen wurden ins Blegdam Hospital in Kopenhagen gebracht, wo lediglich eine «Eiserne Lunge» und sechs Kürass-Respiratoren zur Verfügung standen. Der verantwortliche Epidemiologe Henry Cai Lassen nahm mit dem Anästhesisten Björn Ibsen Kontakt auf, um über neue Behandlungsmethoden nachzudenken. Ibsen hatte sich in den USA zum Anästhesisten ausbilden lassen und hatte dort die Überdruckbeatmung bei Operationen kennengelernt. Er schlug nun vor, die Polio-Patient:innen über eine Tracheotomie mit einem Sauerstoff gefüllten Blasebalg zu beatmen. Die ersten Versuche waren überzeugend, sodass in der Folge alle Patient:innen mit Atemnot in Schichten von sechs Stunden händisch von 500 Medizinstudierenden und Pflegefachpersonen beatmet wurden. Mit Erfolg: Die Sterblichkeit konnte massiv gesenkt werden (Reisner-Sénélar 2009: 16ff). Zudem wurde eindrücklich bestätigt, dass die künstliche Beatmung nach dem Prinzip des Überdrucks funktionierte und Leben retten konnte. Sehr zeitnah wurden nun auch Maschinen eingesetzt, die die «Handarbeit» von Pflegefachpersonen und Studierenden überflüssig machten.


Die schwedischen Maschinen übernehmen

Bereits 1950 hatte der schwedische Mediziner Carl-Gunnar Engström ein Beatmungsgerät entwickelt. Dieser Engström-Respirator bewährte sich in klinischen Studien und fand Anfang der 1950er Jahre in Dänemark und Schweden während der Polio-Epidemie Verwendung. Ebenfalls zu den ersten explizit für die Langzeitbeatmung entwickelten Beatmungsgeräten gehört die sogenannte «Lundia» – benannt nach ihrem Entwicklungsort. Am Institut für Physiologie im schwedischen Lund konstruierte Peter Petersen 1953 das Gerät, das nach seiner klinischen Erprobung offenbar zunächst vom Medizintechnikhersteller Instrumenta AB ebenfalls in Lund produziert wurde. Später scheint KIFA (kurz für Kirurgiska Instrument Fabriks Aktiebolaget) die Produktion übernommen zu haben.

Wie funktionierte die Lundia? Die Drehung der Motorachse wurde von einer Exzenterschreibe in eine vor- und rücklaufende Bewegung übersetzt, die wiederum auf die Balgbewegungen überführt wurde. War die Einatmung abgeschlossen, konnte über ein Ventil, das durch den Einatmungsdruck geschlossen war, ausgeatmet werden.



Erste Intensivstation des Inselspitals, ca. 1956 (Medizinsammlung Inselspital Bern)


Das Inselspital erwarb 1956 mit einem Nachkredit von 23’850 Franken die drei ersten «Lundia-Spezialrespiratoren». Nachdem sich diese bewährt hatten, folgten 1964 drei weitere. Im Vergleich zum «Engström»-Respirator hatte die «Lundia» den Vorteil, dass sie leise und vor allem einfach zu bedienen war. Oder wie es 1961 im Danish Medical Bulletin hiess: «[N]ot very complicated and neary fool-proof». Im Inselspital schätzten die Medizintechniker die unkomplizierte Wartung: Die «Lundia» besass kein Gehäuse und einige Tropfen Öl reichten aus, um das Gerät am Laufen zu halten. Der «Engström»-Respirator hingegen benötigte jede Woche einen aufwändigen Schmierservice. Ebenfalls geschätzt und in Zeiten fehlender Notstromversorgung potentiell lebensrettend: Mit einem Handgriff konnte die «Lundia» von Maschinen- auf Handbeatmung umgeschaltet werden.



Mit einem kleinen Handgriff von maschineller Beatmung zur Handbeatmung


Ein Objekt als Quelle

Schaut man sich die «Lundia» der Medizinsammlung an, fällt schnell auf, dass sie sich nicht im ursprünglichen Zustand der 1950er Jahre befindet. Mitarbeiter:innen des Inselspitals haben sie mehrfach modifiziert. Solche Anpassungen und Verbesserungen waren bis in die 1980er Jahre hinein üblich und sind im Fall der «Lundia» eine gute Quelle für die Geschichte der Beatmung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. So ist beispielsweise eine sogenannter «Wright Respirometer» angebracht. Mit diesem war man in der Lage, die Menge Luft, die eine Patient:in ausatmet – entweder pro Minute oder pro Atemzug – auf einen Blick abzulesen. Auf den Markt kam das Messgerät, das vom britischen Arzt Basil Martin Wright entwickelt worden war, 1958 und wurde darauf offensichtlich auch im Inselspital in die bestehenden Beatmungsgeräte integriert. Später rüstete man den Respirator mit einem in Zusammenarbeit mit der Ostschweizer Firma Bucher entwickelten Monitor nach.



Der nachträglich integrierte Wright Respirometer

Ebenfalls erst später dazugekommen: Das elektronische Volumeter «Megamed». Damit wurde die «Lundia» ins elektronische Zeitalter der Beatmungsgeräte überführt, das in den 1970er Jahren einsetzte. Neue Modelle enthielten nun standardmässig ein elektronisches System, das Ein- und Ausatmung kontrollieren konnte. Der «Megamed» ermöglichte ab 1982, dass auch bei Beatmung mit der «Lundia» Atemzugsvolumen und Atemminutenvolumen einfach zu bestimmen waren.

Die «Lundia» war zudem ursprünglich nicht für Beatmungen mit positivem endexspiratorischem Druck (PEEP) ausgelegt. Im Gegenteil: In den 1950er Jahren wurde mit negativem Ausatmungsdruck die Lunge einer Patient:in vollständig entleert, um so zu verhindern, dass der Druck bei der neuen Füllung zu stark anstieg (Wahlin 1972: 84). Erst als sich in den späten 1960er Jahren die Ansicht durchzusetzen begann, dass es von Vorteil sein könnte, auch nach der Ausatmung in der Lunge einen positiven Druck zu behalten, wurden die Beatmungsgeräte umgerüstet. Das Inselspital entwickelte dafür zunächst eine «Wasserbremse». Die Patient:in musste durch das Wasser ausatmen, um die Ausatmung zu bremsen und den Druck aufrechtzuerhalten (Kacmarek 2011: 1174). So erhielt die «Lundia» nachträglich ein Wasserglas, das Insel-intern auch «Konfiglas» (Marmeladenglas) genannt wurde und dessen Blubbern anzeigte, dass die Beatmung funktionierte.



Die nachträgliche eingebaute Wasserbremse



Drei Jahrzehnte dienten die «Lundia»-Respiratoren im Inselspital auf der Intensivstation, bis die «Servo»-Ventilatoren sie Mitte der 1980er Jahre ersetzten. Die Apparate wurden jedoch nicht entsorgt, sondern für einen allfälligen Notstand im geschützten Operationstrakt im zweiten Untergeschoss des Inselspitals eingelagert, bevor ein Exemplar den Weg in die Medizinsammlung fand.



Auswahlbibliografie

Bahns, Ernst: Mit dem Pulmotor fing es an – Die Geschichte der maschinellen Beatmung, Lübeck 2014.

Baker, A. Barrington: Artificial Respiration, the History of an Idea, in: Medical History 15 (4), 10.1971, S. 336–351.

Engström, Carl-Gunnar: Treatment of Severe Cases of Respiratory Paralysis by the Engström Universal Respirator, in: British Medical Journal 2 (4889), 18.09.1954, S. 666–669.

Hellsten H. Lundiarespiratorn [The Lundia Respirator]. Sven Lakartidn. 1953 Jul 17;50 (29), S.1512-24.